Ein Konsultationspapier der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2018 forderte institutionelle Anleger unlängst recht unverblümt dazu auf, sich mit dem Thema „Nachhaltigkeit“ zu beschäftigen. Man solle in den kommenden Jahren nachweisen können, sich mit dem Thema ernsthaft auseinandergesetzt zu haben. Dies und die übliche Schwammigkeit, die viele Texte aus Brüssel charakterisiert, führen derzeit zu einem spürbaren Aktionismus. Da niemand wissen kann, welche Kriterien der Regulierer eigentlich genau erfüllt sehen möchte und was man unter Nachhaltigkeit einer Kapitalanlage im professionellen Sinne eigentlich zu verstehen hat, arbeitet man sich schrittweise voran.

Was bedeutet eigentlich Nachhaltigkeit? Egal! Los geht´s!

Problematisch ist eine bisher fehlende einheitliche Systematik und begriffliche Klarstellung. Wie definiert man Nachhaltigkeit und an welchen exakten und messbaren Kriterien sollen sich Anbieter und Anleger orientieren? Mit diesen Fragen ist man derzeit in Brüssel beschäftigt und geht davon aus, die entsprechende Festlegung der Begrifflichkeiten („Taxonomie“) bis 2022 – wir sind halt in Europa - abgeschlossen zu haben. In der Zwischenzeit haben die unterschiedlichen Lobbygruppen reichlich Gelegenheit in Paris, Berlin und Brüssel das ein oder andere Geschenk zu verteilen und die eine oder andere Perlhuhnbrust zu verspeisen.

Da alle allerdings bereits losfahren, bevor sie eigentlich wissen wohin, beginnen die Aktivitäten der Asset Manager schon jetzt. Der öffentliche Druck orientiert sich ohnehin nicht an so lächerlichen Dingen wie Messbarkeit, Fakten oder gar Machbarkeit. Daher wird man schon allein um eine zufriedenstellende Antwort auf die erwartbaren Fragen der Anleger zu haben, in den kommenden Monaten allüberall mit „Nachhaltigkeitskonzepten“ um die Ecke biegen. Sie wissen ja, das Konzept ist der fleischgewordene Arbeitskreis.

Mancher wird aus der Not eine Tugend machen

Die Punkte sind wenig überraschend, die Frage wer das alles wie messen und kontrollieren soll, steht auf einem anderen Blatt. Bis zur Festlegung harter Kriterien wird der erste Schritt bei der Anpassung der Anlagestrategien im Ausschluss bestimmter Industriesektoren aus dem Anlageuniversum bestehen. Man kauft eben keine Aktien oder Anleihen von Firmen mehr, die den Sektoren „Rüstung“, „Glücksspiel“ und „Tabak“ zugeordnet sind.

So weit, so einfach - dieses Vorgehen wird schon jetzt von vielen praktiziert. Viel mehr werden viele institutionelle Investoren erst dann umsetzen, wenn der Regulierer feste Kriterien verkündet hat. Wer will schon Geld für Daten ausgeben, von denen er nicht ahnen kann, ob er wirklich diese Kennzahlen oder vielleicht doch andere benötigt. Auf den Werbezetteln für Publikumsfonds wird man sicher in den kommenden Monaten öfter ein ESG-Logo finden, oftmals verbunden mit einer leicht erhöhten Gebühr, die für die Anbieter aus der Not eine Tugend macht. Wer 100.000 Euro für eine entsprechende Datenlizenz ausgibt, gleichzeitig aber bei einem Anlagevolumen von ein paar Milliarden die Gebühren um ein paar Basispunkte erhöhen kann, macht ein gutes Geschäft.

Dabei sind Asset Manager mit einem modernen quantitativen Ansatz eindeutig im Vorteil. Unterhaltsam dürfte es für kleinere Geldverwaltern mit diskretionären Anlageprozessen werden. Die Damen und Herren, die sich der üblichen Raterei hingeben, wo morgen wohl die Kurse stehen werden, steht eine Menge Arbeit bevor. Das sollten Anleger als wünschenswerten Nebeneffekt der Regulierung begrüßen, ist es doch ein weiterer Nagel im Sarg des unsäglichen „Storytellings“ dem man nur ein möglichst baldiges Ableben wünschen kann.

ESG-Beurteilung schwankt je nach Datenanbieter

Warum sind wenige institutionelle Anleger von der Idee der verordneten nachhaltigen Anlage überzeugt? Das liegt nicht daran, dass man ohne die paar Rüstungs- und Tabakfirmen nicht mehr in der Lage wäre, vernünftig zu investieren. Der Ausschluss einiger Aktien oder Anleihen tut nicht weh. Es ist die Frage der Sinnhaftigkeit der so genannten Nachhaltigkeitskriterien. Was genau ist nachhaltig? Wer legt das fest und wie kommt man auf die Idee, abseits einiger weniger Punkte gäbe es eine Chance auf einen globalen Konsens?

Die Frage, ob der Begriff der Nachhaltigkeit nicht völlig falsch verwendet wird, sollte man ernst nehmen. Die Aufteilung der Nachhaltigkeitskriterien erfolgt bekanntlich in den Kategorien E für „Environmental“, S für „Social“ und G für „Governance“, daher das Akronym ESG. Ergänzend drückte man noch den Carbon-Footprint als Sonderkriterium in die Liste hinein. Dies alles in einen sinnvollen Score zu aggregieren ist eine Aufgabe, die zweifellos zu Resultaten mit einer ziemlich großen Messungenauigkeit führen. Daher unterscheidet sich die ESG-Beurteilung desselben Unternehmens bei verschiedenen Datenanbietern deutlich. Welche Einordnung ist korrekt und was genau ist in diesem Falle eigentlich korrekt?

Globale Kriterienfindung und Einigkeit eher schwierig

Selbst beim Thema Carbon-Footprint gibt es – ganz unabhängig davon, wie man zur Klimadebatte steht – ein paar Haken und Ösen. So gib es etwa die eine Kennzahl, die den Kohlendioxid-Ausstoß durch den Umsatz dividiert. Das klingt schlau, wenn man aber darüber nachdenkt, was das etwa für eine Billigfluglinie im Vergleich zu einer teuren Airline bedeutet, wird der Denkfehler schnell klar. Wenn alle Parameter gleich bleiben, die Billigfluglinie ihre Tickets aber 50% billiger anbietet, ist die Kennzahl deutlich schlechter als beim teuren Anbieter. Das war vermutlich nicht das Ziel dieser Kennzahl.

Beim Umweltkriterium sollte sich in vielen Bereichen schnell Einigkeit erzielen lassen. Schwierig wird es mit dem europäischen oder gar globalen Konsens dennoch werden. In vielen Bereichen, wie etwa der Gentechnik oder auch der Rüstung, spielen bei der Beurteilung neben einer - kulturell bedingt global nicht eben homogenen - ethisch-moralischen Komponente auch die geografischen und klimatischen Begebenheiten und die geopolitische Situation und Historie eine wichtige Rolle.

Es ist schwierig, die Technikfolgen einer komplexen Wissenschaft wie der Gentechnik abzuschätzen, dennoch ist es nur dann einfach, sich platt gegen Gentechnik auszusprechen, solange man von Hunger und üblen Krankheiten weitgehend verschont bleibt. Man muss sich aber im Gegenzug die Frage gefallen lassen, wie man die Chancen, neue Medikamente ohne Gentechnik zu finden, einstuft, und wie man die zusätzlichen Todesfälle in seine vermeintlich überlegene ethisch-moralische Weltsicht zu integrieren vermag.

Planwirtschaftliches Chaos voraus?

Mag man es den Bewohnern mancher den Ackerbau nicht leicht machenden Regionen ins Gesicht sagen, dass man die mit Mitteln der Biotechnologie veränderten dürreresistenteren Ackerpflanzen aus moralischer Sicht nicht gut findet, und man daher schlechtere Ernten eben in Kauf zu nehmen habe? Selbst bei der Rüstung gestaltet sich die Frage nicht so einfach, wie man in einer in den letzten Dekaden vergleichsweise entspannten Gegend denken mag. Es ist wie mit dem Satz „Stell´ Dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“. Das ist in der Tat wünschenswert, dumm ist allerdings, wenn es heißt „Stell Dir vor es ist Krieg und nur einer geht hin“. Das soll die zahlreichen aus schlichter Habgier am Köcheln gehaltenen und für Waffenhersteller in aller Welt profitablen Krisen nicht rechtfertigen. Es soll nur daran erinnern, dass Wehrlosigkeit für die meisten Völkern langfristig selten Anlass zum Jubeln mit sich brachte.

Diesen Fragen wird vermutlich mit dem Ruf nach einer größeren Ausdifferenzierung begegnet. Ein Gremium hier, das über Thema A berät, ein Arbeitskreis dort, der sich den Ackerfrüchten annimmt. Das ist gut gemeint, führt aber zur Gefahr eines planwirtschaftlichen Chaos. Das Thema kann man zwar beliebig fein aufdröseln, aber ein Konsens lässt sich eben nicht erzwingen. Wenn man daran denkt, welche neu zu schaffenden Gremien sich mit diesen Entscheidungen beschäftigen werden, und wie viele Stunden zahlreiche Menschen sinnlos verschwafeln werden, dann darf man durchaus erschaudern. Einfache Lösungen, die schnell und von vielen akzeptiert werden, sind jedem geplanten Perfektionismus vorzuziehen, von daher gilt die gute alte Regel: Lieber in etwa richtig liegen, als exakt falsch.

Die Stimmrechte nutzen!

Man darf die Frage stellen, ob es nicht sinnvoller wäre, sich an den Firmen, deren Verhalten man verändern möchte, zu beteiligen und über die Stimmrechte direkt Einfluss zu nehmen. Dafür sind Aktien und Stimmrechte eigentlich da, aber das ist vermutlich zu einfach und niemand kann daran verdienen. Die meisten Anleger lassen Aktien daher einfach in Ihrem Depot schmoren und machen von den Stimmrechten keinen Gebrauch. Schade.

Sollte Sie jemand in den kommenden Monaten zu „nachhaltigen Anlagen“ überreden wollen, dann sollten Sie schlagfertig kontern. Da die Rendite vermutlich sinken wird, fordern Sie einfach weniger Gebühren. Sie werden überrascht sein, wie schnell sich in solchen Diskussionen eine gewisse Hartnäckigkeit auszahlt. Da haben Sie schnell das Jahresabo für Cashkurs wieder herausgehandelt. Viel Erfolg!

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